Meerjungfrau liebt Osterhasen

Susanna Weber: "Wiegen/Wogen" in der Galerie Natalia Offermanns

Eine katholische Kindheit - oh Gott - mag mancher denken, freut sich so mancher Psychologe, denn das was eine katholische und katechistische Erziehung in vielen Kinderseelen angerichtet hat, ist oft nur schwer zu therapieren. Die Angst vor Teufeln und Dämonen, vor Fegefeuer und Höllenqualen im Angesicht der oft sadomasochistischen Martyrien kirchlicher Heiliger. Eine Welt der Drohungen und moralischen Zwänge, die ewige Schuldkomplexe und Sexualneurosen provozieren, die wirklich jeden Therapeuten freuen.  

Doch eine katholische Kindheit kann auch sehr poetisch sein, wie eine außergewöhnlich feine Ausstellung in der Mannheimer Galerie Offermanns beweist. Susanna Weber heißt das katholische Kind, das heute als eine kluge und sehr gefühlvolle Künstlerin kritisch wie auch verklärend von den poetischen Träumereien ihrer Kindheit erzählt. So läßt die an der Karlsruher Akademie studierte Malerin in einem der beiden Räume unter dem Titel "Wiegen" quasi ihr Kinderzimmer wieder auferstehen, mit Mobiles an der Decke und "Windowcolors" an den Fenstern. Letztere sind allerdings - verständlicherweise - sehr boshafte Parodien auf das Lamm Gottes, das mit einer Schere bewaffnet Kastrationsängste provoziert und mit dem Spruch: "The first cut is the deepest" kommentiert wird.

Wesentlich heiterer und poetischer zwei barocke Engel in den süßlichen Farben des 18. Jahrhunderts: die malerischen Kopien der berühmten Marmorputti aus dem oberschwäbischen Kloster Birnau von Johann Feuchtmayer. Der eine Engel mahnt und warnt mit seinem Zeigefinger vor all den Sünden dieser Welt, der andere dagegen leckt damit - welch süße Sünde - frischen Bienenhonig ab. Und darunter schreibt die Künstlerin einen Spruch, den ihr einst die Deutschlehrerin ins Poesiealbum geschrieben hatte: "Wie die Biene Honig sammelt, so sammle du dir Weisheit ein, denn ist die Blütezeit zu Ende, so ist der Honig dein." Daneben zeigt sie einige gezeichnete Vorstudien zu diesen großen Engeln, was noch übrig ist, denn die meisten hat sie an Freunde zu Taufen und Geburtsfeiern verschenkt.  

Kitschig auch die Heiligenbilder, die Susanna Weber immer wieder von jenen Freunden (im Gegenzug) geschenkt bekommt und zu Collagen weiterverarbeitet. So zeigt sie eine Serie von sechs Bildern mit dem Titel "Schutzengelhände über geflügelten Kinderseelen", wo sie Fetzen eines solchen Schutzengelbildes malerisch überarbeitet und mit Symbolen einer kindlichen Spiritualität, mit Heiligenscheinen und dem Auge Gottes etwa,  semiotisch neu belebt. Dazu kommen profane Collageelemente wie ein Stück Blumentapete aus dem 19. Jahrhundert, mit Schmetterlingen, die die Künstlerin als Seelensymbole deutet, mit Blüten, in denen die Phantasie eines Kindes fliegende Elfen und Feen erkennt. Dazwischen erkennt man kleine Osterhasen und andere verschämte Frühlings- und Fruchtbarkeitssymbole, die man als Kind natürlich noch nicht verstehen durfte.

Erotisch auch eine weitere sechsteilige Collage mit einer Heiligen Magdalena, der Sünderin mit gelöstem Haar und tiefem Dekolleté, die wie eine  Wassernymphe eines Jugendstilgemäldes an einem dunklen Wasser ausgegossen liegt. Ein riesiger Bischofsstab droht dieser Sünderin und verwandeln sich gleichzeitig in einen schlangengleichen Phallus. So wird Magdalena, die einst Christus verführen wollte, zu einem Objekt der Begierde, zum sexualneurotischen Symbol, wie in dem gerade im Barock sehr beliebten biblischen Motiv der Susanna im Bade, die von zwei greisen, so doch geilen Methusalems voyeuristisch beobachtet wird.

"Susanna im Bade" hieß denn auch passend und schelmisch eine Ausstellung, die Frau Weber vor einiger Zeit in ihrem neuen Domizil selbst veranstaltete, der alten "Kurbad Sauna" im Jungbusch, die nun von Weber und ihren Kollegen Elionore Wilhem und Udo Lembach als Atelier genutzt wird. Wasser ist das zweite große Thema der Susanna Weber, "Wogen" der zweite Titel ihrer aktuellen Ausstellung, im zweiten Galerieraum. Hier zeigt sie u.a. in Leuchtkästen eine Reihe von erotischen Wassernymphen, Rusalkas und tanzende Meerjungfrauen mit geschweiftem Fischschwanz. Eine von ihnen flirtet mit einem Osterhasen, denn auch die Nymphen sind alte Phantasiefiguren einer ewig jungen Kinderphantasie.

Das markanteste Motiv und Lieblingssymbol in der Wasserwelt von Susanna Weber aber ist das Seepferdchen, das der Künstlerin fast zum Markenzeichen wurde. Auch Seepferdchen sind kleine Nymphen, ganz feine und filigrane Tierchen, die ihre Knochen jedoch wie ein Krokodil als Schuppenpanzer außen tragen und alle Sensibilität sehr gut zu schützen wissen. Ja, man kann diese Seepferdchen zu einem auch psychologischen Leitsymbol Susanna Webers erheben, das sie selbst als eine Art "Selbstporträt" bezeichnet.

Gleichzeitig sind diese Seepferdchen auch malerisch ein ganz typisches Motiv für die ornamentale und durchaus dekorative Malweise Susanna Webers. Die natürliche Form und Gestalt eines solchen "Hippocampus" mutet bereits barock an, als hätte der Meeresgott Neptun diesen Stil persönlich inspiriert. Ja, jedes Seepferdchen erinnert an eine Wessobrunner Stuckrocaille, an jenes Hauptornament des süddeutschen Rokoko, der ja bekanntlich eine sehr maritime Formenphantasie entwickelte (und unter anderem auch von o.a. Herrn Feuchtmayer geprägt wurde). Schon als Kind, erzählt die Künstlerin, kannte sie das Kloster Birnau und war einst sogar im Kloster Wessobrunn zur Kur und schaute sechs Wochen lang in ihrem katholischen Schlafzimmer auf eine solche Rokoko-Stuckdecke, und resümiert, "Kein Wunder, das ich heute male, wie ich male."

© Scala  / Dr. Dietmar Schuth  10/2000